Dietmar Bittrich
99 deutsche Orte die man knicken kann
Was man alles knicken kann:
Kölner Dom – Brandenburger Tor – Hofbräuhaus – Hamburger Hafen – Speyer Dom – Quedlinburg, – Sylt – Dresden – Schloss Neuschwanstein – Weimar – Mainzer Dom – Kloster Eberbach – Schloss Sanssouci – Rügen Kreidefelsen – Bremer Rathaus und Roland – Königssee – Glottertal – Teutoburger Wald – Elbsandsteingebirge – Thomaskirche in Leipzig – Insel Mainau – Zugspitze und und und…
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Schloss Neuschwanstein
Über dieses Schloss kursieren so viele Klagen und Beschwerden, dass es hier nur gelobt werden soll. Es gibt so viel Positives! Zu Recht wird Neuschwanstein das Cinderella Schloss genannt, manchmal auch Sleeping Beauty Castle. Schließlich ist es das wohl berühmteste Bauwerk Walt Disneys! Und dass es inzwischen vom Excalibur Hotel & Casino aus Las Vegas übernommen wurde ist, schmälert nicht seinen Charme.
Der ummauerte Schlosshof gilt immer noch als Deutschlands beste Gelegenheit zur Begegnung mit unbewaffneten Angehörigen asiatischer Völker. Obendrein ist dieses Schloss ist der erste Bau, der in Deutschland einen Energiepass erhalten hat. Sein energiesparender historischer Küchenofen (Rumford-Herd im Erdgeschoss) vermochte bereits 1886 den Bratspieß durch Eigenwärme in Bewegung zu setzen. Die warme Abluft wurde schon damals verlustfrei der Heizung zugeführt. Auf diese Weise reichte ein kleines Ferkel am Spieß zum Beheizen der königlichen Wohnung, allerdings musste das Ferkel dazu bis auf den Aschenrest verbrannt werden. Heute genügt zwei Dönerspieße zum Beheizen des Thronsaals.
Mehr noch: In allen Stockwerken stand von Beginn an fließendes Wasser zur Verfügung, nachhaltig angereichert mit den wertvollsten Bestandteilen von echtem Eisenerz („Rost“) und biodynamischem Asselkot. Im Schlosscafé kann dieses Wasser noch heute genossen werden. Und vielleicht am wichtigsten: Nur in diesem denkmalgeschützten Bauwerk ist es erlaubt, für eine einzige Eintrittskarte (zwölf Euro) drei Führungen auf einmal zu genießen!
Die rasche Folge der Schlosstouren – Start alle fünf Minuten – ermöglicht dieses einzigartige Wunder. Während also der Guide in der Mitte eines Raumes das Mobiliar erläutert („Stuhl“, „Bank“, „Tisch“), werden die Zuhörer bewundernd Zeuge, wie der Guide der voranschreitenden Gruppe noch die Deckengemälde deutet, bevor er seine Leute aus der Tür schiebt, während auf der anderen Seite bereits die nachfolgende Gruppe hereindrängt und die Teppichfransen erklärt bekommt.
Diese simultane Belehrung – meist in verschiedenen Sprachen – ist europaweit einmalig. Leider kann sie in reiseunfreundlichen Monaten wie November und Februar immer noch zu selten genossen werden. Im Februar, wenn nicht mal mehr Busse die Steigung von den Parkplätzen hoch zum Schlosseingang schaffen, ist eine Gruppe im Schloss manchmal bis zu sechzig Sekunden lang allein in einem Raum, mit nur einem einzige bis auf den Grund leergeleierten Guide.
Die Starts der Führungen erfolgen in solchen Monaten in höflichem Sicherheitsabstand, wie beim Zeitfahren eines Radrennens. Dafür kann in der Nebensaison etwas anderes und vielleicht noch Wichtigeres genossen werden: ein Geschwindigkeitsrekord!
Im Sommer werden die Gruppen in siebzehn Minuten durch die zugänglichen Räume bugsiert. Im Winter, bei unverstopften Gängen, ist eine viel höhere Geschwindigkeit möglich. Der beliebte Guide Bernhard („Bernie“) Gudden schaffte es Anfang März 2015, seine Gruppe in genau 7:42 Minuten durch die sogenannten Prunkräume zu jagen. „Es waren junge bis mittelalte Japaner, denen so ein Tempo alles andere als fremd war“, gesteht Gudden. Dieser neue Rekord (der alte lag bei 8:23 Minuten, erzielt von Traudel Steiger und ihrer Gruppe Südkoreaner im Januar 2007) soll jetzt Aufnahme im Guinness Buch finden.
Übrigens: Als Guides bewerben dürfen sich ausschließlich Personen, die den Satz „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ in weniger als zwei Sekunden rezitieren können. Denn auf blitzschnelles monotones Sprechen kommt es an Neuschwanstein! Diese Einstellungsbedingung erklärt auch, weshalb so viele Guides diesen Satz vom Arzt und Apotheker so häufig in die Vorträge einfließen lassen.
Eigentlich gehört er nicht zwingend zum Text. Vielmehr besteht der Vortrag, der möglichst tonlos und gleichförmig abgespult werden muss, aus zwei auswendig gelernten Seiten zu Geschichte und Einrichtung des Schlosses. Leider kommt es immer wieder vor, dass renitente Besucher so einen Vortrag durch Fragen stören. Auf solche Fragen einzugehen, würde einen Stau verursachen, auf den andere Gruppen auffahren könnten, mit der Gefahr von Hämatomen, Prellungen und Meinungsaustausch. Daher erteilen die Gruppenführern niemals Antworten, sondern nur patzige Zurechtweisungen.
Gleichwohl lassen sich besonders Fragen zum Privatleben von „Deutschlands schwulstem König“ (Werbung) nicht vollständig unterdrücken. Um dieses Interessensgebiet endlich aus dem Schloss hinaus zu verlagern, sollen so bald wie möglich die einst vielgerühmten Waldfeste mit jüngeren Bediensteten und Stallleuten in maurischer Tracht wieder ins Leben gerufen werden, an Sommerabenden auch mit jenen beliebten Tänzen, „bei welchen gar kein Kostüm dem maurischen vorgezogen wird“ (Dekret von Ludwig).
Im Souvenirshop finden sich bereits etliche subtil frivole Andenken. In diesem Shop werden die Teilnehmer übrigens nach der Besichtigung für längere Zeit interniert, bis sie sich vollkommen freiwillig dazu entschließen, für mindestens dreißig Euro Porzellanschwäne, Mokkatassen, Puzzles, Kissen, Sweater, Mousepads, Brillenputztücher und Kondome mit aufgedruckten Schloss- oder Königsporträt zu erwerben.
Erst danach kann die Entlassung erfolgen, oft übrigens bei voller Gesundheit. Lediglich bei elf Prozent der Besucher wird nach der Entlassung eine beginnende frontototemporale Demenz mit wahnhaften Schüben festgestellt, verbunden mit Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis. Diese Verhaltensauffälligkeiten gelten bei der Bayerischen Schlösserverwaltung als Beweis dafür, dass der irre König den Besuchern besonders nahe gebracht worden ist.
Empfohlene Besuchstage: Osterfeiertage, Pfingstfeiertage, Bayerische Feiertage.
Beste Besuchszeiten: Ab zehn Uhr, wenn die asiatischen Busse kommen.
Ausdrücklich verboten: Heimliches Parken am Freischwimmbad Schwansee (kostenlos). Kontaktaufnahme mit Gästen, die das Schloss gerade verlassen. Sprechen und Atmen während der Führung.
Wichtigste Auszeichnungen seit 2010
* Little Asia Award 2011
* World’s Biggest Tourist Trap 2012
* Hervorragender Testplatz für Klaustrophobiker 2013
* Verstopfteste Toiletten 2014
* Zen Masters Patience Award (Härteste Geduldsprobe) 2015
* Toughest Wheelchair Challenge 2016
* Wichtigste Außenstation der Oberbayerischen Kreisirrenanstalt 1886 bis heute
Zehn beliebte Fragen an die Schlossführer
Darf ich ein Foto machen? Wenigstens von Ihnen?
Leben die Schauspieler von Game of Thrones immer hier, oder nur wenn gedreht wird?
Meine Mutter schafft die Treppe nicht, können Sie bitte den Essensaufzug in Gang setzen?
Welches Kissen darf ich mir aus dem Schlafzimmer mitnehmen?
Können Sie bitte den künstlichen Wasserfall einschalten und die Regenbogenmaschine?
Was bedeutete Bismarcks Satz „Der Bayernkönig ist ein Spinatstecher“?
Welchen Reitknecht stach der König am liebsten? Und nach seiner Entmündigung?
Was sehen Sie als Hauptaufgabe Ihrer Führung – das Scheuchen, das Treiben oder das Hetzen?
Und wie kommen wir jetzt nach Altschwanstein?
Wie viele Leute springen nach Ihrer Führung von der Marienbrücke?
Der Spreewald
Viele Menschen in unserer urbanisierten Gesellschaft haben es verlernt oder vergessen: Mücken sind wichtig. Mücken sind gut. Mücken haben eine unverzichtbare ökologische Funktion!
Im Spreewald wird das auf lebendige Weise am eigene Leibe erfahrbar. Hier, eine gute Stunde südlich von der hektischen Großstadt Berlin, gelingt in idyllischer Stille zurzeit etwas Besonderes: die Wiederansiedlung selten gewordener und vom Aussterben bedrohter Mückenarten. Ähnlich wie südlich in der Lausitz der Wolf wieder heimisch geworden ist und lästige Schafbestände beseitigt, dürfen sich im Spreewald die lange verfemten Insekten wieder willkommen und wohl fühlen.
Besonders stolz sind die Wildhüter auf die Wiederkehr verschiedener wild lebender Anopheles-Arten, die einst durch Kanalisierung und Entsumpfung der Fließe vertrieben wurden. Dank Renaturierung und Neuversumpfung kehren sie in die angestammten Feuchtgebiete zurück. Hier dürfen sie endlich wieder ihrer Natur gemäß leben und sich an Touristen sättigen. Gerade die zart gebauten Weibchen sind es, die zum Eierlegen immer wieder Blutmahlzeiten zu sich nehmen müssen.
Da trifft es sich gut, dass sich so viele blutreiche Berliner Rentnerinnen durch die Fließe staken lassen. Für die Rentnerinnen selbst ist es schmerzlindernd, dass sie mit Schnäpschen und Likörchen einander zuprosten. Denn mit jeder Promille sinkt die Empfindlichkeit für Einstiche und Juckreiz. Quaddeln und Schwellungen allerdings kann der Alkohol nicht verhindern und schon gar nicht das, was die frei lebenden Anopheles-Mücken so wichtig und so einzigartig macht: die Übertragung winziger Fadenwürmer (Filarien) durch den Einstich, zudem die unentbehrliche Verbreitung des Denguefiebers sowie der einst skrupellos ausgerotteten Malaria.
„Durch menschliche Einflüsse wurden diese unschuldigen Erreger einst zurückgedrängt und vernichtet“, erklärt ein Aufseher im Biosphärenreservat. „Erst heute erkennen wir: Sie sind bitter nötig für das ökologische Gleichgewicht!“ Welcome back! Kenner wie die Park Ranger vermögen die Mückenarten am Sirren und Summen zu unterscheiden, weil die Tonhöhe variiert. Sie schlagen gegebenenfalls auch mal zu. Doch die Witwenkähne, Spaßpaddler und Kanuten sind der berühmten Schwarmintelligenz der possierlichen Tierchen wehrlos ausgeliefert.
Und das ist gut so! „Unsere Auenniederung braucht für ihr Ökosystem jeden einzelnen Stich!“, mahnt der Aufseher. Ebenso unverzichtbar sind die Faulgase, die aus der Biomasse des Reservats aufsteigen. Touristen glauben oft, bei dem Gestank handele es sich um Flatulenzen aus dem vor ihnen fahrenden Kahn. Schließlich schiebt sich in der Hochsaisan ein vollbesetztes Boot hinter dem anderen durch die Kanäle. Und tatsächlich: „Wer von den berüchtigten Spreewaldgurken kostet, flatuliert anschließend ganz beträchtlich“, räumt der Experte ein. „Doch die meisten Faulgase entstammen dem natürlich Aasgeruch der Fließe.“
Das Einatmen gilt als gesund. Was hingegen die Gurken betrifft, raten Fachleute dazu, sie erst nach einer Kahnfahrt zu probieren – wenn es denn überhaupt sein muss. Besser als im Sitzen können die auftretenden Gase dann im Gehen oder beim Fahrradfahren abgeführt werden, etwa auf dem speziell für diese Zwecke angelegten und ausgeschilderten Gurkenradweg. „Nach dem Gurkenverzehr wird der gewöhnliche Pedalantrieb bald durch den Rückstoß entscheidend verstärkt“, meldet der lokale Fahrradverein. „Im Spreewald werden hohe Geschwindigkeiten erreicht!“
Volksweisheit: „Es stimmt nicht, was immer gesagt wird: dass die Leute hier so sauer seien und so muffig wie ihre eingeweckten Gurken. Sie sehen lediglich so aus.“ – Wilibald von Schulenburg, Volkskundler