Dietmar Bittrich
Zwerge
Mit 10 Zeichnungen und 4 Farbillustrationen von Svato Kapletal
Svato Verlag
Kl.-8°. 56 S.
mit Deckelillustration und farbig illustriertem Umschlag.
312 nummerierte Exemplare, vom Autor und vom Illustrator im Druckvermerk signiert.
Das Buch wurde aus der Garamond-Antiqua gesetzt und auf einer Andruckpresse gedruckt.
Jetzt ist es nur noch im Antiquariatsbuchhandel zu haben
ab 20 €.
Im fernen Osten der Republik, in der Lausitz, gibt es einen betagten Mann namens Kosanke, der Gartenzwerge herstellt. Ganz besondere Gartenzwerge, jeden mit einem individuellen Gesicht. Man darf dem skurrilen Herrn Kosanke sogar Modell stehen.
Doch das hat der alerte coole Vertreter nicht im Sinn, der eines Tages bei Kosanke in der Datschenkolonie vorspricht. Dieser Herr Gerlach tut zwar so, als sei er rein privat interessiert. In Wahrheit jedoch will er dem Lausitzer Eigenbrötler das Rezept für die speziellen Zwerge abluchsen. Mal sehen, wie gut ihm das gelingt!
Leseprobe
Sie waren im Wohnzimmer. Schwaden von üblem Zigarrenrauch konnten über die katastrophale Einrichtung nicht hinwegtäuschen. Unter dem Schmutz und der Bräune der Jahre war noch ein blumiges Tapetenmuster zu entdecken; von dem leeren Bücherschrank rollte sich das Furnier; anstelle von Bildern vergilbten Kalenderblätter an den Wänden.
„Schön haben Sie’s hier.“ Jede Müllverbrennungsanlage würde diesen Schrott zurückweisen.
Kosanke wies mit kurzem fetten Finger auf eine Kunstledergarnitur. Eine unförmige Riesenzigarre qualmte auf einem Teller.
Kosanke plumpste ins Plastikpolster. „Dieser einförmige Kitsch aus dem Westen!“, gluckste er. „Da gibt es Gartenzwerge, die angeln, welche, die ein Lämpchen halten oder eine Gießkanne oder einen Blumenstrauß oder eine Ziehharmonika oder eine Pfeife.“ Er kicherte.
Gerlach nickte. Er hätte zu jedem die Seriennummer nennen können.
„Tja!“ Kosanke strich seinen Kugelbauch und meckerte verächtlich. „Daran soll man sie wohl unterscheiden können. Aber es ist einer wie der andere. Einer wie der andere! Der Gesichtsausdruck ist immer derselbe!“
„Genau!“, fand Gerlach. „Immer derselbe Gesichtsausdruck.“ Obgleich das keineswegs stimmte. Der Dicke war nicht auf der Höhe. Man hatte sich in den vergangenen Jahren erhebliche Mühe gemacht, etliche Mund-Variationen entworfen, zwei lustige Brillenmodelle, auch verschiedene neue Nasen, man hatte sogar eine Visagistin engagiert.
„Solchen Kitsch gab es ja leider auch bei uns“, seufzte Kosanke. „Hergestellt in Suhl. Haargenau dieselbe Qualität.“ Dreiste Unverschämtheit, dachte Gerlach, die Dinger aus Suhl sind doch beim ersten Frost gesplittert und beim zweiten Regenguss zusammengesackt! Genau dieselbe Qualität? Hah! Da waren selbst die vom Hannoveraner Zwerge und Zierrat um Klassen besser!
Kosanke sog an seiner windeldicken Zigarre und stänkerte in den Raum. Er senkte die Stimme: „Meine aber sind einmalig. Unwiederholbar. Und sie halten was aus. Sehen Sie!“
Gerlach folgte der Geste und blickte in den Garten. Ja, da stand tatsächlich eine staunenswerte Schar Zwerge. Ein graues Heer. Hier zwei unter einem Baum, dort eine Gruppe am Gebüsch, einige schienen Ringelreihen um einen Stamm zu tanzen, viele standen vor der Hecke hinten, als seien sie gerade herausgekrochen; die meisten im Schatten oder im Zwielicht, als könnten sie Sonne nicht vertragen. Das wäre freilich zu überprüfen, dachte Gerlach, Wind- und Wetterfestigkeit. Aber diese knitterigen Gesichter, die haben was, wirklich, beinahe wie die Gesichter von wirklichen Zwergen, er hatte mal einen gesehen, nur waren sie eben grauer. Ein bisschen Farbe müsste man ihnen zweifellos aufpinseln. Jedenfalls: Unwiederholbar waren sie gewiss auch nicht. Das war eher eine Frage technischer Fertigkeiten. Gerlach dachte an eine limitierte Edition von ausgesuchten Prototypen. Mit Echtheits-Zertifikat. Nummeriert, signiert.
„Ich hatte schon davon gehört, Herr Kosanke, aber nun sehe ich es selbst und bin begeistert: Jeder Ihrer Gartenzwerge hat eine eigene – eine Individualität.“
Kosanke schmauchte stumm.
„Eine ganz und gar eigene Persönlichkeit. Und das haben Sie im Sozialismus entwickelt!“, scherzte Gerlach. Und fügte, da Kosanke keine Miene verzog, eilig hinzu: „Wobei der ja auch viel Gutes hatte.“
Gerlach hatte jetzt den Eindruck, Kosanke starre ihm auf die Ohren. Klar, so ein Plastiker hat natürlich einen Blick dafür. Seine Ohren waren nun mal ziemlich groß, und sie standen leider auch ab, was nichts Schlechtes zu bedeuten hatte, aber schön waren sie nicht. Kuck mal gefälligst woandershin, Dickerchen! Gerlach legte je eine Haarsträhne über jedes Ohr.
„Zum Beispiel Sie, Herr Kosanke, Sie verdienten wahrscheinlich nicht viel Geld in diesem System, Sie konnten sich das, was Sie wollten, nicht leisten. Und so waren Sie durch den Sozialismus genötigt, kreativ zu werden und zum Beispiel Ihre Gartenzwerge selbst zu modellieren. Ich will Sie nicht fragen, wie Sie das gemacht haben.“
Er legte eine Pause ein, damit Kosanke antworten könne. Aber der schob ihm nur einen Teller hin. Für Vertraulichkeiten war es augenscheinlich noch zu früh. Ich hätte ihm was zum Trinken mitbringen sollen, dachte Gerlach ärgerlich. Dann wäre er ins Plaudern gekommen und hätte auch seine Stänkerei reduziert.
„Möchten Sie etwas?“, raunte Kosanke.
Gerlach wusste nicht, was.
„Von dem Dörrobst hier?“
„Ach so. Nein. Äh – doch, ja, gern. Wie lecker.“ Eine weiße Plastikschale wurde über den Tisch geschoben. Voll mit grauem, braunem, gelbem, schwarzem – tja, das sollte Backobst sein. Von der Sorte, die man in den besseren Bundesländern allenfalls beim Großreinemachen unterm Schrank fand und sofort in den Müll kippte. „Ich stelle es selbst her“, lächelte Kosanke mit bescheidenem Stolz. Gerlach war ein wenig gerührt. Wie viel Mühe sich die Leute hier gaben, wie genügsam sie immer noch waren. Man ist direkt verweichlicht dagegen. Sein Magen-Darm-Trakt verkrampfte sich in banger Erwartung.
„Als Kleingärtner haben Sie sicher die Obstbäume bemerkt“, vermutete Kosanke. „Ich habe vier Birnensorten, drei Pflaumen, sechs Äpfel und zwei Quitten.“
Gerlach schwieg und kaute. Er konnte Bäume grundsätzlich nicht unterscheiden, höchstens Laub- und Nadelbäume. Die Trockenfrüchte hier hätten allerdings auch Tannenzapfen sein können. Kronenkiller, Brückensprenger.
„Hmmm, hmm“, machte er genießerisch. „Stellen Sie Ihre Zigarren auch selbst her?“
Dann hast du dir dein Grab hoffentlich auch schon selbst ausgehoben, Fettwanst! Nicht das mindeste Gesundheitsbewusstsein war vorgedrungen in diese Provinzen. Wozu auch. Lassen wir der natürlichen Selektion ihren Lauf.
Kosanke nahm die Zigarre nicht aus dem Maul. Er redete mit einem Mundwinkel. „Angefangen habe auch ich vor langen langen Jahren mit einem ganz gewöhnlichen Serien-Exemplar. Es steht noch da – ganz hinten neben dem Goldfisch-Teich.“
Ja, da stand einer mit Angel, ganz verwittert, offenkundig Schrott aus Suhl.
„Jemand hatte ihn mir aus dem Westen mitgebracht“, erklärte Kosanke. „Für mich war es der erste und letzte aus Massenproduktion. Für meine eigenen Zwerge habe ich dann eine bessere Konservierungsmethode entworfen.“ Kosanke lehnte sich zurück und streichelte mit kreisenden Bewegungen seinen Bauch. „Gartenzwerge müssen Wind und Wetter aushalten“, dozierte er. „Sie brauchen eine besondere Glasur.“
Vielleicht bei euch, du Dummkopf. Gerlach lagerte einen Pflaumenkern in der Backentasche ab. „Das liegt möglicherweise an der Rohbraunkohle, die bei Ihnen verfeuert wird, Herr Kosanke! Das kommt ja alles wieder runter. Bei uns hält das Plastik.“
„Plastik!“ Kosanke verdrehte theatralisch die Augen. Offensichtlich wollte er den Qualitätsbewussten herauskehren. Na, gönnen wir es dem armen Schlucker, dachte Gerlach uns sagte freundlichst: „Vielleicht darf ich nachher mal einen Blick in Ihr Atelier werfen?“
„Ich bitte darum.“
Na, also, da haben wir dich ja schon beinahe. Dich und deine Gartenzwerge. Gerlach spähte durch das schlecht geputzte Fenster. Durch die ziehenden Schwaden des Zigarrenrauches schienen die Zwerge in Bewegung zu geraten und wie Wanderer im Nebel zu schreiten. Wunderbar, dachte Gerlach, poetisch geradezu! Für normale Kleingärten viel zu schade; die Käufer müssen einen Besitz von mindestens zweitausend Quadratmeter nachweisen. Es handelt sich um Luxusgüter. „Ich fände es natürlich großartig, wenn ich Ihnen einen Zwerg abkaufen könnte, rein privat, es kann auch gern einer sein, der nicht so gut gelungen ist, aber das wäre natürlich zuviel verlangt.“
Gerlach machte eine kurze Pause, doch Kosanke stieß lediglich eine besonders toxische Qualmwolke aus.
„Darf ich?“, fragte Gerlach und wies auf den Teller. Erstens schien der Verzehr den Alten günstig zu stimmen, und zweitens war das Aroma tatsächlich nicht so übel. Man musste es nur geduldig erkauen. „Vielleicht haben sie nichts dagegen“, schmatzte Gerlach, „wenn ich im Garten gleich ein paar Fotos mache?“ Dann kann ich auch den Weg für einen eventuellen Diebstahl ausspionieren, falls du freiwillig nichts rausrückst.
Kosanke ließ Asche auf den Teppich rieseln. „Das ist so eine Sache. Es war hier mal ein Fotograf, der hat mir leider, leider einen Zwerg kaputtgemacht.“
„Ach, ein Fotograf war hier?! Etwa ein Westler?“